„Du das machen, ja?!“


„Ja, Herr Hauer…und sie können auch normal mit mir reden.“ Herr Hauer lächelte und schlug sich beschämt die Hand vor die Augen, „Entschuidige! Die Gewohnheit…“ und schon eilte er davon. Ich drehte die Stanzmaschine und den „Kassettinger“ auf und machte mich an die Arbeit. Zu Sepultura konnte man flott aus Tischbeinen und Rohren Aussparungen stanzen oder Gewinde schneiden. Dort kam ich auch drauf, dass die Musikrichtung „Industrial“ nicht von ungefähr so hieß.
Es war in einer kleinen Fabrik, die zu einer Büromöbelfirma gehörte und in der sämtliche Metallteile für die Möbel hergestellt und verarbeitet wurden. Mein Vater hatte dort als Hilfsarbeiter gearbeitet seit ich denken konnte. Er hatte mich schon als Kleinkind oft am Nachmittag mitgenommen, wenn er bei irgendwelchen Maschinen etwas umstellen oder sie mit Material bestücken musste. Auf dem Platz vor der Halle hatte er mir Radfahren beigebracht. Und später als ich zur Schule ging, kam ich dort zum Essen hin. Denn mein Vater war auch zuständig für die Tiefkühlkost, die es für die Arbeiter zum Mittagessen gab. Für meinen kindlichen Gaumen war das Höchste der Kaiserschmarren mit Himbeersauce. Ich war auch immer wieder bei Firmenfeiern dabei. Wir besuchten Kollegen meines Vaters oder sogar die Ingenieure aus dem Büro. Da wurde einem schon früh klar, dass ein „Inschinjeer“ etwas Besonderes war, zumal die in geräumigen Häusern mit weitläufigen Grundstücken lebten und nicht, wie die ausländischen Hilfsarbeiter, in zu kleinen Wohnungen.
So zogen die Jahre dahin und irgendwann war ich Teenager und stand als einziges weibliches Wesen in einer Halle mit dutzenden Männern an schweren Maschinen, um mir neben der Schule etwas dazu zu verdienen und meinem Vater zu beweisen, dass ich schon für mich sorgen konnte. Dieser hatte nämlich kein Verständnis für meinen „ausgefallenen“ Mode- und Frisurengeschmack. Dabei passte mein halb abrasierter Schädel (hinten praktisch – oben fesch) sehr gut zu meinem halb abgerissenen Gewand. Wahrscheinlich bin ich irgendwann äußerlich durchgedreht, als wer zum millionsten Mal sagte „…du wärst ja so hübsch, wenn…“. Außerdem konnte man ja auch schlecht in Minirock und Stöckelschuhen gegen das Establishment protestieren. 

Jedenfalls stand ich also irgendwann, unzufrieden mit mir und der Welt, in dieser Fabrikshalle und beeilte mich die zwei Paletten Tischbeine wegzuarbeiten, bis ich mitbekam, dass jemand hinter mir stand. Es waren zwei Kollegen meines Vaters, die lachten und mit den Händen gestikulierten, ich solle mal die Maschine abdrehen. „Heast Mädl! Owa vom Gas! Du deafst ned z‘schnö hackln, sonst miassn mia a mea mochn.“ Was übersetzt bedeutete, dass ich nicht so schnell arbeiten sollte, das würde sie unter Leistungsdruck stellen. Ich dachte, sie würden scherzen, bis Herr Hauer – der „Masta“ – vorbeikam und mich ratlos ansah. Ich hatte die Menge, die er mir für 4 Stunden hingestellt hatte, in eineinhalb erledigt. 

Da ich geschickt und schnell war, wurde ich Tran an die Seite gestellt. Tran war einer von zwei Vietnamesen, die dort arbeiteten. Er war der Mann fürs Feine. Und so zeigte er mir, wie man gezielt mit einem Hammerschlag – mit der spitzen Seite – eine Metallfeder in die Falz einer Metallplatte schlug. Die zu treffende Fläche war 1 Millimeter breit und man sollte dabei nicht die Platte zerkratzen. Es war als ob man mit Anlauf auf Anhieb ins Postkastenschlüsselloch treffen müsste. 
Tran war auch einer der ältesten Mitarbeiter und so tätschelte er mir, stolz wie ein Opa die Hand als ich immer schneller und präziser wurde. „Ooo! Du gutt! Ja, ja!“ sagte er dann. Sein Deutsch war fürchterlich. Er sprach kaum in ganzen Sätzen. Für immer in Erinnerung wird mir bleiben, als ich ihn anlässlich der Besichtigung einer neu gebauten Halle fragte, wie er sie fände und er antwortete „Ooo! Suppa! Essen, trinken, schlafen…Hund!“. Damit wollte er ausdrücken, dass man einziehen konnte. 

„Doitsches Schprache, schwerres Schprache“ war unter den Ausländern ein Running-Gag. Woher sollten sie auch ordentlich die Sprache lernen, wenn fast alle Österreicher in „Ausländerdeutsch“ mit ihnen sprachen? 
Der Eingangs erwähnte Herr Hauer, war es so gewohnt so zu sprechen, dass er das oft auch zu Hause mit seiner Familie tat, wie seine Frau einmal meiner Mutter erzählte. 
Ich machte ihn immer wieder darauf aufmerksam, dass er mit den Arbeitern „normal“ reden sollte. Bis ich Zeugin wurde, dass diese ihn „normal“ nicht verstanden. 

Für mich wiederum wurde es normal, erwachsenen Männern zu erklären, dass ein Vietnamese kein „Chinesa“, Türken und Kurden keine „Kanacken“ und Ungarn und Jugos keine „Tschuschen“ waren. Diese Worte waren trotz freundschaftlicher Verhältnisse immer wieder „im Spaß“ zu hören. Und dass mir Gehör „geschenkt“ wurde, lag daran, dass ich mir einerseits durch Fleiß Respekt verschafft hatte und andererseits keines ihrer Klischees erfüllte. Es war nicht das einzige Mal, dass ich in einer Fabrik oder einer rein männlichen Umgebung arbeitete. Mir kam zugute, dass ich nicht hässlich war und mit jedem reden konnte. Das heißt, ich ging mit jedem sprachlich respektvoll um. Was in einer Umgebung, wo jeder jeden „Trottl, Deppada, Wöli, G‘schissana…“ ungewöhnlich war. Andererseits lernte ich auch den „derben Spruch“ sodass ich – falls mir einer blöd kam – entsprechend antworten konnte. Ja, es war recht grauslich. Und in jungen Jahren dachte ich „Yeah, was bin cool!“ 

Im Laufe der Jahre lernte ich dann doch mehr die wertschätzende Art miteinander zu sprechen schätzen. Doch egal wieviele Sprachen ich sprach, wie eloquent ich war oder wieviel ich über irgendetwas wusste. Mit kaum etwas konnte ich mir mehr Gehör und Respekt verschaffen als mit dem Vorweisen meines Führerscheins, der mich ermächtigt alles, außer Bus, zu fahren. 

Nun kann man daraus verschiedene Schlüsse ziehen. Ich für meinen Teil weiß, dass ich im Falle einer Zombieapokalypse einen Lastwagen mit Metallplatten panzern und lenken, eine neue Zivilisation mit wertschätzender Sprache aufbauen und mir selber die Unterhosen waschen kann. Ja, Letzteres ist enorm wichtig, denn mit dreckigen Unterhosen kann man keine neue Zivilisation gründen. Denn ich mutmaße, dass ich damals beim Arbeiten schneller war weil ich mir nicht so oft den Schritt oder Hintern kratzen musste.

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